Interessengemeinschaft zur Förderung der Elektromobilität im Unterallgäu
 
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Energiewende - Basis Wasserstoff
 
 
Betrachtung für Deutschland
1. Historie
Die Wasserstoffwirtschaft als finale Lösung der Energiewende wurde bereits zu Lebzeiten des Flugzeugpioniers Ludwig Bölkow (gest. 2003) propagiert und von ihm publikumswirksam in Szene gesetzt:
> Stromerzeugung mittels Sonnenstrahlung

>> Wasserstoff aus Sonnenstrom
>>> Transport und Lagerung von Wasserstoff
>>>> Universelle Nutzung des Wasserstoffs als Kraft- und Brennstoff.
Die politisch denkenden Akteure hatten damals bereits darauf reagiert und z. B. in Neunburg vorm Wald das Solarwasserstoffzentrum gegründet1.
Gegenstand dieses Projekts war die Erprobung des Wasserstoff -Kreislaufes durch Elektrolyse und wieder zurück in Strom durch Brennstoffzellen. Ferner wurde in Neunburg vorm Wald eine erste Flüssigwasserstoff-Tankstelle installiert und erprobt.
Im Hintergrund dieser Aktivitäten stand die Unerschöpflichkeit der Sonnenstrahlung, die Endlichkeit der fossilen Energieträger (damals noch weniger die CO2- Problematik) sowie die Unermesslichkeit der z. B. in der Sahara zur Energiegewinnung vorhandenen Flächen2.
Im Zuge der Energiewende und des seit über 19 Jahren bestehenden Erneuerbare-Energien-Gesetzes (EEG) hat insbesondere die Gaswirtschaft seit über zehn Jahren publikumswirksam die Power-to-gas-Technologie (PtG) ins Szene gesetzt und tut noch immer so als ob dies ein vordringendes Problem wäre, das möglichst schon morgen auf breiter Basis umgesetzt werden müsste.
In der deutschen Realität ist es wahr, dass der Ausbau der Stromnetze mit dem Bedarf an Übertragungskapazität nicht ganz schritthält und dass im letzten Jahr (2018) rd. 5 bis 6 TWh Stromerzeugungspotential durch Abregelung verloren gegangen ist3. Diese Strommenge wäre besser z. B. in Wasserstoffenergie „umgewandelt“ worden.
1 Das Solar-Wasserstoff-Projekt Neunburg vorm Wald (SWB-Projekt) war ein Forschungsprojekt der Solar-Wasserstoff-Bayern GmbH in der bayerischen Stadt Neunburg vorm Wald. Zwischen 1989
und 2000 beschäftigte sich das Projekt mit der Vision einer zukünftigen CO2-freien Energieversorgung. Ursprünglich war das Projekt bereits Ende September 1986 in Zusammenarbeit mit der 1983 gegründeten Ludwig Bölkow-Stiftung geplant. Beteiligt waren neben der Bayernwerk AG (mit anfangs
60 %, zuletzt 70 %), auch die Unternehmen BMW (10 %), Linde AG (10 %), Siemens (10 %) und MBB (10 %) bzw. ab 1989 DASA bis 1994. Mein ehemaliger Diplomand Peter Hopf wirkte dort als Geschäftsführer von 1992 bis 1998.
2 Dies hatte dann etwa 20 Jahre später, 2009, zum Desertec-Projekt geführt, mit der Vision, in der Wüste Sahara Strom zu erzeugen (ähnlich wie bei Bölkow), diesen Strom jedoch via Hochspannungsgleichstrom-Übertragung (HGÜ) nach Europa zu leiten. Das Desertec-Projekt wurde 2014 wieder aufgegeben, die Zentrale von Desertec wurde von München nach Dubai verlagert.
3 Ein Großteil dieser Abregelungsmengen fällt seit Jahren im windstarken Schleswig-Holstein an, denn das dortige 66 kV-Netz wird erst jetzt auf 110 kV ertüchtigt und mit einer zweiten 380 kV-Schiene verbunden.
 
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Dass zusätzlich etwa 60 bis 70 TWh p. a. an erneuerbarem Überschussstrom ins Ausland abgegeben wird, ist lediglich ein finanzielles Problem (Überschussstrom hat einen Börsenpreis gegen null und wird praktisch verschenkt), dieser Transfer trägt zur Lösung der CO2-Problematik in Europa insgesamt bei.
In ferner Zukunft wird es dazu kommen, dass der wertvolle Strom (power) zu be- stimmten Überschusszeiten zu Wasserstoff (gas) umgewandelt wird.
2. Wasserstoff als Energieform
Um die Energie des Wasserstoffs einzuschätzen, ist die folgende E-Mail aufschlussreich: Guten Morgen Herr NN,
danke für die Zusammenarbeit und die Möglichkeit der Beauftragung. Zunächst zum Wasserstoff-Thema:
a) Wasserstofferzeugung
Um einen Normkubikmeter H2 zu erzeugen, werden 4,3 bis 4,9 kWh Strom benötigt4. Rechnen wir bei einer kleinen Anlage mit 5 kWh/Nm3.
11,1185 Nm3 H2 ergeben 1 kg H2. Hierfür müssen 55,6 kWh Strom auf- gewandt werden.
Wie vorgetragen, hat der Wasserstoff am Wassermolekül einen Ge- wichtsanteil von (2/(2+16) = 1/9. Folglich müssen, um 1 l Wasser vollständig zu zerlegen, 500 kWh Strom aufgewandt werden.
b) Wasserstoffverwendung
Für Wasserstoff gilt (Quelle Wikipedia):
Umrechnung von MJ in kWh: durch 3,6 teilen.
 
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c) Folgerungen
Der Heizwert von Wasserstoff beträgt 2,995 kWh/Nm3.
Für die Berücksichtigung der im Wasserdampf enthaltenen fühlbaren Wärme (Kondensationswärme) wird dieser Wert durch 0,8458 geteilt:
Der Brennwert von Wasserstoff beträgt demnach 3,541 kWh/Nm3.
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Arbeit kann nur der Heizwert verrichten, bei einem Motorwirkungsgrad von 35 % (bei Kleinanlagen eher 30 %) entstehen aus 2,995 kWh Brennstoff 1,048 kWh mechanischen Energie.
Bei einem (sehr guten) Generatorwirkungsgrad von 95 % können aus
1 Nm3 Wasserstoff ca. 1 kWh Strom gewonnen werden
6.
d) Ergebnis
Aus 4,5 bis 5 kWh Strom entstehen rd. 3 kWh Wasserstoff und hieraus kann ich 1 kWh Strom gewinnen!
Dies ist das Ergebnis der Power-to-Gas-to-power-Philosophie.
Strom hat, wie Sie selber wissen, die höchste Wertigkeit aller Energiearten und etwa die dreifache Wertigkeit von Brennstoffen.
Deshalb muss dieses hohe Gut mühsam erzeugt (z. B. in einem Holzgas- BHKW; zur reinen Wärmeerzeugung wäre die Holzheizung einfacher zu betreiben) und soll zur Kraftentfaltung verwendet werden (d. h. auch zum Autofahren).
Nicht von ungefähr haben Strom und Kraft (mechanische Energie oder Leistung) im Englischen denselben Ausdruck: Power. Dies zur Wasserstoffverwendung. Bitte um Ihre Kommentierung.
 
Bei der Wasserstofftechnik steht also nicht die Rückverstromung im Vordergrund, sondern die möglichst nutzbringende Verwendung des aus Überschussstrom erzeugten Wasserstoffs, um Kohle, Mineralöl oder Erdgas zu verdrängen.
3. Wasserstoffwirtschaft in Deutschland
3.1 Wasserstoff-Erzeugung
Der heutige industrielle Bedarf an Wasserstoff ist nicht genau bekannt. Bekannt ist nur, dass der von der chemischen Industrie benötigte Wasserstoff großtechnisch aus Wasserdampf mittels der Dampfreformierung unter Verwendung von Erdgas erzeugt wird („fossiler Wasserstoff“).
5 1 kWh Wasserstoff werden aus 0,2824 Nm3 gewonnen.
1 Nm3 Wasserstoff lassen sich aus 4,3 bis 4,9 kWh Strom elektrolytisch erzeugen Folglich entspricht 1 kWh Wasserstoff einer Strommenge von 1,2 bis 1,4 kWh.
6 Zur Brennstoffzellentechnik:
Die Brennstoffzellenheizung Viessmann Vitovalor PT2 erzeugt 750 W mit einem elektrischen Wirkungsggrad von 37 % (bei Verwendung von Methan).
Größere Brennstoffzellen lassen in Zukunft elektrische Wirkungsgrade von bis zu 60 % erwarten.
 
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Um 1 kWh Wasserstoff zu erzeugen, müssen rd. 1,43 bis 1,67 kWh Erdgas ein- gesetzt werden (Wirkungsgrad 60 bis 70 %). 1 kWh Wasserstoff erfordert elektrolytisch einen Stromeinsatz von 1,2 bis 1,4 kWh.
Dies bedeutet, dass im Vergleich zu den o. g. spezifischen Werten des elektrolytische erzeugten Wasserstoffes von 4,3 bis 4,9 kWh
el energetisch ein lediglich um 20 % höherer Erdgaseinsatz gegenübersteht – wobei die Wertigkeit von Strom und Erdgas sich stark unterscheiden können, je nachdem, ob Stromüberschuss oder Strommangel besteht.
Für die Wasserstofferzeugung per Elektrolyse stehen folgende Verfahren zur Verfügung:
- alkalische Elektrolyse (mit Kalilauge)
- PEM-Elektrolyse (Feststoffmembran aus sulfoniertem Tetrafluorethylen)
- Hochtemperaturelektrolyse (Membran aus Zirkonoxid, Zerlegung von Wasserdampf)7.
3.2 Wasserstoffleitungen
Normale Erdgaspipelines sind für Wasserstoff ungeeignet, weil der atomare Wasserstoff in das Metallfüge eindringen und das Rohrmaterial verspröden lassen kann. Wasserstoffbeimischungen zum Erdgas von bis zu 10 % sind heute zugelassen, bis zu 20 % werden diskutiert.
Folgende Wasserstoffleitungen aus niedrig legierten C-Mn-Werkstoffen (sog. niederfeste Werkstoffe)8 sind heute in Deutschland im Wesentlichen vorhanden [1]:
- Firma BOC Gases (Hüls AG) 215 km Länge und 25 bar Betriebsdruck,
NW 168 bis 273, seit 1938 in Betrieb
- Linde AG, 100 km Länge, 20 bar Betriebsdruck, zwischen Leuna und Bitterfeld/Dessau und zwischen Leuna, Schkopau, Böhlen und Zeitz
Auf dem Gebiet der Materialforschung ist vor allem der Mannesmann-Konzern mit der Tochterfirma Mannesmann Line Pipe GmbH aktiv und erwartet für die Zukunft den Aufbau einer Wasserstoffinfrastruktur.
4. Wasserstoff, wie am effektivsten zu verwenden?
4.1 Heutige Roheisenerzeugung in Deutschland
Heute werden in Deutschland an rd. fünf Hochofenstandorten zwischen 42 und 43 Mio. t Roheisen aus Eisenerz gewonnen. Hierbei entstehen je t Roheisen Emissionen zwischen 1,5 und 1,8 t CO2.9
7 Wenn Abwärme zur Verfügung steht, z. B. aus der Eisenerzeugung, um damit Wasserdampf zu erzeugen, kann der (Netto-)Wirkungsgrad der Wasserzerlegung um bis zu 20 Prozentpunkte gesteigert werden.
8 Niederfeste Leitungsrohrgüten bis max. Güte L360 (API 5LX52). Dies ist auch die höchste Güte, die gemäß der EIGA-Richtlinie IGC Doc 121/14 für reine Druckwasserstoffleitungen zugelassen ist.
9 Es ist davon auszugehen, dass es sich hierbei um Bruttoemissionen handelt und dass dieses Werte um den Effekt der Stromerzeugung aus Gichtgas noch nicht bereinigt sind.
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Bei einem Energieinhalt von 7.000 kcal oder 8.149 kWh je t Steinkohle10 (C- Gehalt = 74 %) entstehen bei der Verbrennung von 1 t Steinkohle rd. 2,7 t CO2 (0,34 kg CO2/kWh).
Folglich werden für die Produktion von 1 t Rohweisen 0,56 bis 0,67 t Kohle benötigt, die es zu ersetzen gilt. In Deutschland macht dies pro Jahr rd. 24 bis 28 t Steinkohle oder 64 bis 77 Mio. t CO2 aus.
4.2 Eisenerzeugung mit Wasserstoff statt mit Kohle
Seit den letzten Jahren wird die sog. „Wasserstoffroute“ vermehrt diskutiert. Da- runter versteht sich die Direktreduktion von Eisenerz zu Roheisen unter Einsatz von Wasserstoff.
Fe2O3+3H2 >2Fe+3H2O
Gewichtsverhältnis: 3 x 2 = 6 H > 2 x 55,85 = 111,7 Fe
Um 1 t Eisen zu produzieren, werden rein für die chemische Umwandlung mindestens 0,054 t Wasserstoff benötigt.
Die 42 bis 43 Mio. t Eisenerzeugung in Deutschland erfordern (rein chemisch) einen Einsatz von rd. 2,3 Mio. t Wasserstoff p. a.
Wenn zur großtechnischen Wasserstofferzeugung 4,3 kWh Strom pro Nm3 H
2 benötigt werden, entspricht dies rd. 48 kWh Strom pro kg H2.
Den 2,3 Mio. t H2 würden folglich 110 TWh Überschussstrom gegenüberstehen.
Sobald der aus Überschussstrom an den Hochofenstandorten gewonnene Wasserstoff zur Verfügung steht und eingesetzt werden kann, arbeitet die Stahlerzeugung damit „kohlefrei“11. Die bestehenden Hochöfen können nicht mehr weiterbenutzt werden, die „Hochofenroute“ wäre damit passé. Neuinvestitionen in Milliardenhöhe sind für den Aufbau der „Wasserstoffroute“ erforderlich.
4.3 Vergleichsrechnung: Reservestromerzeugung im Kohlekraftwerk
Bestehende moderne Steinkohlekraftwerke erreichen Wirkungsgrade von bis zu 40 % (netto von bis zu 38 %). Wenn die bei der Stahlerzeugung eingesparten 24 bis 28 Mio. t Steinkohle p. a. anstatt zur Eisenerzeugung für die gezielte Stromerzeugung verwendet werden, können hieraus bis zu 80 TWh Strom erzeugt werden.
Unter der Voraussetzung, dass die verbleibenden Steinkohlekraftwerke zur Deckung der Dunkelflaute bis hin zum unteren Mittelastbereich weiterhin zur Verfügung stehen, können damit bei einer Benutzungsdauer von z. B. 2.500 h/a rd. 32 GW Leistung bestehender Kraftwerkkapazitäten genutzt werden.
    .    10  Es wird hier mit deutscher Steinkohle gerechnet, in Wirklichkeit wird zur Eisengewinnung Kokskohle eingesetzt

    .    11  Da gewünscht ist, dass, wie nach dem Hochofenprozess, im Kristallgitter des Roheisens Kohlenstoff enthalten ist, z. B. um Gusseisen herzustellen und auch nur um den Schmelzpunkt abzusenken, wäre nach der Wasserstoffroute dem Eisen Kohle oder CO2 zuzusetzen.

 
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4.4 Fazit
Es bietet sich an, die Investitionsmittel mit dem Ziele der CO2-Einsparung in die nachhaltige Roheisenerzeugung zu stecken und den zur Verfügung stehenden regenerativ erzeugten Wasserstoff punktuell großtechnisch an den Hüttenstand- orten zu erzeugen und zwischenzulagern. Die Zwischenlagerung ist nötig, um Dunkelflauten überbrücken zu können, in denen die Wasserstofferzeugung zum Erliegen kommt.
Die bestehenden Steinkohlekraftwerke können stattdessen einstweilen CO2- neutral weiter genutzt werden.
Wird noch fortgesetzt.
21.05.2019
Hansjörg Pfeifer
Dipl.-Ing., Dipl.-Wirtsch.-Ing.
Umweltgutachter
Öffentlich bestellter und vereidigter Sachverständiger für
Elektrische Energieversorgung, Energiewirtschaft, Kraft-Wärme-Kopplung
Literatur:
[1] Brauer, Holger; Wanzenberg, Elke; Henel, Marco: Transport von gasförmigem Wasserstoff via Pipelines. Leitungsbau, Brunnenbau, Geothermie (bbr) 11-2018, Seite 36-41
[2] Hartbrich, Iestyn: Unglaubliche Signalwirkung. VDI-Nachrichten 3. Mai 2019, Seite 24-25.
[3] Verschiedene Wikipedia-Artikel
 
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Hansjörg Pfeifer
 
Dienstag, 21. Mai 2019
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