Interessengemeinschaft zur Förderung der Elektromobilität im Unterallgäu
 
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Graphen-Akkus als Lösung aller Energiespeicherprobleme?
 
Im Herbst 2016 erfuhr ich, daß in China Elektrobusse - welche dort übrigens weit häufiger verbreitet sind, als hier in Europa - bereits jetzt mit der neuesten Akkugeneration ausgerüstet werden, die es nach den LiPo-Zellen künftig geben wird: Graphen-Akkus.
 
Wahre Wunderwerte war dort in den Spezifikationen zu lesen, die einen erstaunt aufhorchen ließen:
• enorme Hochstromladefähigkeit
• Entladeströme von bis zum hundertfachen des Nennstroms
• große Anzahl von Ladezyklen, ohne Alterungserscheinungen
• umweltfreundlichere Fertigung, ohne Lithium
• geringer Preis
 
Also nüchtern betrachtet ist das schon einzeln gesehen viel zu schön, um wahr sein zu können! Daher reifte in mir der Entschluss, diese Spezifikationen mal selbst zu verifizieren und so zu testen, ob das alles stimmt, was da publiziert wurde.
Gesagt, getan. Nur ein Problem war noch zu lösen: Wie kommt man an Graphen-Akkus heran? In Deutschland wird nämlich mächtig daran geforscht und kaufen geht nicht. Einen Akku aus China zu importieren ist auch nicht gerade billig - nur einfach mal so zum Spaß.
Daher dauerte es noch über 3 Monate, bis ich an die Herstelleradresse von Graphen-Akkus in China!!! kam, wo ich mir sofort zwei Stück eines „gängigen“ Typs bestellte.
1. Der Preis war auffällig niedrig. Ich bezahlte insgesamt für zwei Akkus des Typs 1.0 mit 11,1 Volt und 1000 mAh, also stattliche 11,1 Wh beim Hersteller Melson New Energy Co., Ltd gerade einmal 30 Dollar incl. Versand; macht pro Akku weniger als 15.- Euro. Dieser Hersteller produziert für mehrere Marken TURNIGY®, INFINITY® oder TigeR® vertreibt die Dinger jedoch nicht selbst, aber in der RC-Modell Szene sind diese Akkus gerade schwer im Kommen.
2. Der äussere Zustand war besser, als ich erwartet hatte. In einer edlen Box mit 3D-Prägung und hochwertigem Design versteckte sich ein sehr solide verarbeiteter Block von 22x33x77 mm mit zwei dicken Anschlusskabeln und Hochstrom-Stecker, sowie 4pol. Balance-Stecker.
3. Die techn. Daten ließen keine Wünsche offen. Spannung 11,1 Volt, Kapazität 1000 mAh, also eine Energiespeicherfähigkeit von 11,1 Wh und das bei 45C, was einem max. Entladestrom von 45A entspricht. Das bedeutet, daß man mit den beiden Akkus ein Auto (nein, kein E-Auto), eines mit Verbrennungsmotor, starten könnte!
Nun musste eine Prüfeinrichtung konzipiert und gebaut werden.
Die Ladeeinrichtung bestand aus einem Lader (blau), der max. 6A Ladestrom liefert und mit dem Akkupacks balanced geladen werden können. Die Entladeeinheit bestand aus 10 Stück parallel geschalteten 10 Ohm Hochlastwiderständen, die bei 12V einen maximalen Entladestrom von 12A gewährleisteten und die Entladeleistung von knapp 150 Watt über ein Aluminium Kühlkörper-Array und zwei Lüftern an die Umgebung ableiteten. Der Akku selbst wurde durch einen Arduino mittels einem 12V Relais geschaltet. Die Messwerte wurden quasi nebenbei ermittelt und direkt über ein Ether-Netzwerk auf einen Server übermittelt. Der Akku selbst befindet sich in Bildmitte zwischen den Kühlkörpern direkt unter der gelben Platte auf welchem der Arduino montiert ist. Vervollständigt wird das System durch eine Kamera, die das Ableben des Akkus bildlich dokumentieren sollte, aber das ging leider zu plötzlich vonstatten.
 
4a. Der Prüfzyklus 1 wurde sofort gestartet, nachdem das nötige Entladegerät gebaut und die Protokoll-Software erstellt waren. Der Akku Nr.1 wurde in einem radikalen Testzyklus gemartert und so massiv gequält, wie es nur ging:
• Schnell-Ladung mit 6A, unbalanced!!! spannungsabhängig 20 Minuten
• Schnell-Entladung mit 12A in 5 Minuten
• Lade/Entladelevel 90% zu 5%
• Temperatur min. 18ºC, max. 60ºC
Nach 325 Zyklen deutete sich langsam das Sterben einer der 3 Zellen an,
 denn die Kapazität der Zelle nahm ab, was sich hier sowohl an der obigen Stromkurve, als auch wenngleich geringer an dem unteren Graph für die leicht erhöhte Spannung beim Laden erkennen lässt. Hierbei markiert überlappend dargestellt schwarz den ersten und rot den 325.ten Lade-Entladezyklus. Die Zyklenzeit verkürzt sich zum Ende deutlich, ebenso die Dauer der konstanten Stromstärke während des Entladevorgangs.
Dennoch wurde gnadenlos weiter geladen und nach weiteren 25 Zyklen blähte sich der Akku gefährlich auf, die Ummantelung riss und der Akku erhitzte sich auf 3-stellige ºC Werte.
Bevor die Explosion eintrat wurde die Testreihe beendet, vor allem auch deshalb, weil ein kompletter Zyklus nur noch 1:20 Minuten dauerte, statt nominal 25:30 Minuten. Hier die aufgeblähte defekte Zelle unter den beiden intakten Zellen des Akkupacks nach dem Ende des Tests der unbalanceten Ladung des Graphen-Akkus.
 
Das lag an der defekten Zelle, die auf fast 20 Volt, statt nominal 3,7 Volt geladen wurde, während die beiden anderen in Reihe geschalteten Zellen nie über 3,0 Volt erreichten. Erwartungsgemäß brach der Entladestrom des End-of-Life Akkus stark zusammen, was jedoch daran lag, daß wir nie über 12C entluden, während der Ladestrom nur noch Werte unter 1A erreichte, statt nominal 6A zu Beginn der Messreihe und die defekte Zelle nicht mehr in der Lage war gleichmäßige Entladeströme zu liefern.
4c. Die Energie, welche während während eines Zyklus durch den Akku zwischengespeichert wurde beträgt im Mittel 0,75Ah x 12,6 V, also knapp 9,5 Wh und in der gesamten Messreihe stattliche 3,12 kWh, bevor der Akku abdriftete. Hochgerechnet auf 100% Vollzyklen konnten dabei ganze 280 Vollzyklen (durch 335 Zyklen mit 90% zu 5%) erreicht werden.
 
Der Prüfzyklus II: Nun zum zweiten Akku, welcher mit aktiviertem Lademanagement schonender
geladen wurde, während der anschließende Entladevorgang identisch mit 12C ablief. Start war der 3. Januar 2017
5a. Der Prüfzyklus 11 wurde weit schonender durchgeführt:
• Schnell-Ladung mit 6A, balanced, spannungsabhängig in ca. 26 Minuten
• Schnell-Entladung mit 12A in 5 Minuten
• Lade/Entladelevel 90% zu 5%
• Temperatur min. 18ºC, max. 35ºC
• ca. 47 komplette Zyklen pro Tag
1. Zyklus
rot Spannung   blau Stromstärke   links Ladezyklus   rechts Entladung
Nach weiteren 600 Zyklen war gerade einmal eine reduzierte Kapazität des Akkus von 4% erreicht, was wenig bis normal ist. Die Testreihe wurde weiter fortgesetzt.
1500. Zyklus
rot Spannung   blau Stromstärke   links Ladezyklus   rechts Entladung
 
Die Datenbank wuchs auf stattliche 40 MB an, denn es wurden alle 5 Sekunden die Werte der Spannung und Stromstärke aufgezeichnet.
 
Zusätzlich wurde einmal täglich folgende Daten erhoben:
Datum, Uhrzeit
Ladezeitdauer bis Erreichen der 90% Volladung
Entladezeit bis zum Erreichen 50%, 25%, 12%, 6% und 5% Ladezustand
Akkukapazität
einzelne Zellenspannung Z1, Z2 und Z3
Hierbei deutete sich Mitte Februar an, daß die Messreihe länger dauern würde, als angenommen. Anfang März wurde der 3000 Zyklus erreicht.
3000. Zyklus (mit Faktor 2 gestreckter x-Zeitachse)
rot Spannung   blau Stromstärke   links Ladezyklus   rechts Entladung
 
Die verfügbare Kapazität lag nun bei 640 mAh von anfangs 760 mAh, also bei knapp über 84%
Das erreicht ein konventioneller LiPo Akku nach etwa 1000 Zyklen.
Insofern konnte schon zu diesem Zeitpunkt die Aussage getätigt werden, daß Graphen-Akkus wohl um den Faktor 3 besser sind, was die Lebensdauer anbelangt. Übrigens, bei täglicher Ladung/Entladung würde dieser Wert nach 8 Jahren Dauergebrauch erreicht werden.
Nun ging es aber recht schnell. In den nächsten 7 Tagen schrumpfte die Restkapazität auf 601 mAh = 79% und weitere 7 Tage darauf auf 277 mAh = 36% denn eine der 3 Zellen ließ sich nicht mehr balancen und wies nur noch 0,5 statt 3,6 Volt auf.
3500. Zyklus
rot Spannung   blau Stromstärke   links Ladezyklus   rechts Entladung
 
Die Ladezeit fiel auf etwa 6 Minuten ab, die Entladezeiten waren so kurz, daß bereits nach 2 Sekunden der Akku auf 50%, bzw. 4 Sekunden auf 25% Restladung abfiel und nach 6 Sekunden der Akku leer war.
Dadurch stieg zwar die Anzahl der täglichen Lade-/Entladezyklen auf über 200 pro Tag, aber der Versuch wurde am 15. März um 13:25 Uhr beim 3583. Zyklus abgebrochen. Der Akku blähte sich zwar nicht so stark auf, wie sein identischer Zwilling, der im 1. Versuch unbalanced geplagt wurde, bis er aufplatze, aber bis zur absehbaren Explosion wollten wir es nicht kommen lassen.
Auch beim 2. Versuch brach der Entladestrom des End-of-Life Akkus mit 9A statt 12A zusammen, was jedoch daran lag, daß die defekte Zelle nicht mehr in der Lage war einen gleichmäßigen Entladestrom zu liefern.
5b. Die Energie, welche während während eines Zyklus durch den Akku zwischengespeichert wurde beträgt im Mittel 0,69Ah x 12,6 V, also knapp 8,7 Wh und im gesamten Zyklus stattliche 31,15 kWh, bevor der Akku sein Lebensende erreichte. Das ist der 10-fache Wert des unbalanced geladenen Vergleichstyps.
Zum Vergleich: Ein 22kW Fahrakku eines Elektroautos müsste, um selbe Werte zu erreichen, fast 10 Jahre täglich geladen werden und hätte damit knapp 80 MWh zwischengespeichert. Das reicht bei 17kWh je 100km für eine Fahrstrecke von 470.000 km.
 
Fazit: Graphen-Akkus halten mehr als das, was versprochen wird, wenn man ein entsprechendes Lademanagement anwendet. Sie erfüllen ihre Erwartungen nicht, wenn man sie extrem belastet, ebenso wie alle anderen Arten von Akkus auch. Es werden üblicherweise die Anzahl der Lade/Entladezyklen geschönt, bzw. hat der Akku einfach eine derart geringe Restkapazität bei der angegebenen Zyklenzahl, daß er unbrauchbar ist und selbst sein Second-Life bereits beendet hätte...
Aber: Im Vergleich zu ähnlichen LiPo-Akkus kann aufgrund der Parameter Ladestrom, Entladestrom und Entladekurve, sowie Zyklenzahl der für Akkus aussagefähige SoH-Wert (State-of-Health oder Zustand des Akkus als dessen Fähigkeit die angegebenen Spezifikationen zu erfüllen und zwar im Vergleich zu einem neuen Akku) länger im oberen Bereich über 75% gehalten werden, was einer längeren Nutzungsdauer entspricht. Die Ladedichte bezogen auf den Rauminhalt liegt ebenfalls etwas höher, als bei vergleichbaren LiPo-Akkus; jedoch nicht bezogen auf die Masse des Akkus, denn Graphen-Zellen sind etwas schwerer, als LiPos. Dafür jedoch kann man sie mit höheren Strömen und dadurch schneller laden ohne sie so extrem zu gefährden wie ihre Kollegen auf Litium-Basis.
Allerdings die enormen Zyklen von Lithium Eisenphosphat (2000) bzw. Lithiumtitanoxid (10000 Zyklen) erreichen Graphen-Akkus locker bzw. noch nicht. Für den Einsatz in Fahrzeugen sind sie ebenso prädestiniert, wie als solare Energiespeicher.
Weshalb wird dieser Akkutyp denn nicht längst schon verwendet?
Sind uns chinesische Hersteller wieder einmal um Jahre voraus?
 
 
Jonas Scharpf, B.Sc. TUM
Thomas Scharpf, Dipl.-Ing.
 
Samstag, 25. März 2017
Hochstromfähiger Graphen-Akkus als Ersatz der LiPo Zellen in E-Autos
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